Ein absurder Tod
“Er wollte nicht wie ein Kranker sterben […] Was er zudem unbewusst wollte, war die Begegnung seines noch blutvollen, gesunden Lebens mit dem Tode, nicht aber die Konfrontation des Todes und dessen, was selbst schon beinahe tot war.”
Diese Sätze stammen aus Albert Camus’ Roman Der glückliche Tod. Es ist dort die Rede vom Protagonisten Patrice Mersault. Albert Camus starb vor 55 Jahren. Nicht von Krankheit geschwächt und alt. Er wurde plötzlich, von einen auf den anderen Moment aus dem Leben gerissen.
Die Art und Weise, auf die Albert Camus ums Leben kam, ist gewissermaßen absurd. Camus war nie ein Freund von schnellen Autos und Raserei. Er selbst fährt einen alten Citroën Traction Avant 11 CV. Obwohl er bereits eine Fahrkarte für den Zug nach Paris besitzt, nimmt Camus die Einladung Gallimards Einladung an und fährt in dessen Facel Vega mit. Gallimard scheint ganz im Gegensatz zu Camus ganz und gar nichts gegen schnelles, riskantes Autofahren zu haben und so schlittert er mit überhöhtem Tempo über die nasse, rutschige Landstraße. Bei Villeblevin gerät der Wagen ins Schleudern und zerschellt an einer Platane. Albert Camus ist sofort tot, Gallimard stirbt zehn Tage später. Die zwei Frauen auf den Rücksitzen überleben.
Albert Camus wird am 7. November 1913 in Mondovi in Algerien geboren. Seine Familie war bereits seit drei Generationen im damals noch französischen Algerien ansässig. Sein Vater wird kurz nach Alberts Geburt zum Kriegsdienst eingezogen. Der Erste Weltkrieg tobt in Europa. Er wird in der Schlacht an der Marne verwundet und stirbt Oktober 1914 in einem Hospital in der Bretagne. Camus wächst mit seiner Mutter, dem Onkel und der Großmutter in einer kleinen Wohnung in Algiers Armenviertel auf.
Nach seinem Schulabschluss schreibt Camus sich in Algier für Philosophie ein. Er gründet eine Theatergruppe, schreibt für Zeitschriften und tritt der Kommunistischen Partei bei. Seinen ersten Roman Der glückliche Tod veröffentlicht er nicht. Stattdessen verwendet er ihn als Bruchstücke für Der Fremde, welcher zu einem seiner Hauptwerke wird. „Heute ist Mutter gestorben. Oder vielleicht gestern, ich weiß es nicht.“ So beginnt die Geschichte um den Algerien-Franzosen Meursault, der ohne Antrieb in den Tag hinein lebt und, nachdem er einen Mord an einem Araber begangen hat, von dem er sich bedroht gefühlt hatte, auf seine Hinrichtung wartet. Alles was dem Protagonisten geschieht, aber auch das, was er selbst tut, scheint ihm vollkommen gleichgültig. Er kennt keine Moral, keine Konvention, keinen Sinn. Die Gleichgültigkeit scheint ihm Schutz zu sein vor der Absurdität des Lebens.
Das Absurde wird zum zentralen Thema von Camus’ Werk und seiner Philosophie. Es besteht für ihn darin, zu erkennen, dass das Streben nach Sinn in einer sinnleeren Welt vergeblich, aber nicht hoffnungslos bleiben muss. Um nicht zu verzweifeln und zu resignieren, propagiert Camus den aktiven, auf sich allein gestellten Menschen, der selbstbestimmt ein Bewusstsein entwickelt, in dem Schicksalsüberwindung, Auflehnung und innere Revolte möglich sind. Der absurde Mensch drängt trotz aller vermeintlicher Aussichtslosigkeit seines Tuns weiter nach vorne. So wird die mythologische Figur des Sisyphos’, der dazu verdammt ist, einen Stein bergauf zu rollen, nur um daraufhin zu sehen, wie dieser wieder herunter rollt, zum Sinnbild des absurden Menschen. “Das Absurde hängt ebenso sehr vom Menschen ab wie von der Welt. Es ist zunächst das einzige Band zwischen ihnen“, heißt es in Der Mythos von Sisyphos.
Heute wäre die Stimme des bedingungslosen Humanisten Camus vermutlich an vielerlei Orten zu hören. In Lampedusa, in Nordafrika, aber auch in Syrien oder in Frankreich. Er verdammte jeglichen Totalitarismus, sei es der Nationalsozialismus oder der Stalinismus. Und auch heute würde er einstehen gegen Kräfte wie den IS, aber auch gegen Strömungen, die sich in Europa entwickeln und von Ängsten angetrieben werden.
In Deutschland sind diese Strömungen momentan jeden Montag auf den Straßen zu sehen, vor allem in Dresden. Absurd.
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