Autoren Interview

Auf ein Wort mit Stefan Zett | Blogbuster 2017

Es geht weiter mit Stefan Zett, meinem Kandidaten für Blogbuster 2017. Um den Autor und seine Intentionen etwas besser kennenzulernen, habe ich ein kleines Interview mit ihm geführt.

In dem Exposé zu Das Magenkomplott schreibst Du, der Roman sei “ein humorvoller Entwicklungsroman, eine abgedrehte Abenteuergeschichte und auch ein anthropologisches Essay, das sich in seiner monströsen Darstellung einer hemmungslosen Konsumkultur selbst nicht immer ernst zu nehmen vermag.“ Das klingt sehr, sehr skurril und durchaus amüsant. Kannst Du mir erzählen, wie Du auf die Idee für den Roman gekommen bist?

Das war zu der Zeit, als ich mit Mitte zwanzig aus meiner Heimatstadt Münster nach Köln gezogen bin. Weil mir mein Medizinstudium irgendwo auch zu trocken und zu naturwissenschaftlich-materialistisch war, hatte ich schon in Münster angefangen Völkerkunde und Philosophie zu studieren. Damals habe ich mich sehr intensiv mit Ethnologie und Religion beschäftigt. Außereuropäische Weltanschauungen, indigene Mythen. Da gibt es fantastische Kosmologien, tolle Geschichten voller Abenteuer. Jedes auch noch so kleine Volk hat eigene Erklärungen und Vorstellungen von der Welt und richtet auch das Verhalten danach aus.

Und wir eben auch. Und das habe ich dann aus einem ethnologischen Blickwinkel betrachtet. Welche Verhaltensweisen erfüllen welche Funktionen, wie werden sie im einzelnen motiviert, erklärt. Mit welchen Mythen funktionieren wir?

Das war eine intensive Zeit. Ich lebte zum ersten Mal in meinem Leben alleine, habe viele Stunden auf der Couch mit Lesen verbracht und auch viele alte Filme, Klassiker, in einem Programmkino geschaut. Und ich bin viel spazieren gegangen. Natürlich ging es auch für mich selbst um meine weltanschauliche Orientierung und auch um die Frage, was ich in Zukunft werden wollte. Eigentlich Dinge, die nicht in einem Supermarkt zu klären sind.

Aber irgendwie habe ich mich nach all den Eindrücken des Tages immer wieder an einem großen Supermarkt am Zülpicher Platz (Kölner Innenstadt / Anm. novelero) wiedergefunden und sah mich damit konfrontiert, was ich kaufen sollte. Wer ich sein wollte, aus dem ganzen Sortiment und ob das moralisch vertretbar war. Ob ich nicht durch den Kauf eines Produktes an irgendeinem Missstand in der Welt mitschuldig werden würde. Und ob ich es mir finanziell leisten konnte, nicht mitschuldig zu werden, oder ob ich ganz auf das ein oder andere verzichten sollte. Und ob das tatsächlich alles so relevant war für den weiteren Verlauf meines Lebens. Es war so, als würde ich gezwungen Antworten zu geben auf Fragen, die ich mir selbst nie gestellt hatte. Und irgendwann begann ich mir vorzustellen, wie nach dem Einkauf jemand meine Tasche inspizierte und ich mich rechtfertigen musste. Auch für das, was ich nicht gekauft hatte. Das waren relativ impertinente Fragen und so waren da auch ganz schnell zwei impertinente, etwas absurd anmutende, in schwarz gekleidete Herren, die diese Fragen stellten. Und die zwingende Logik dahinter war eben, dass sie Macht über das, was zu kaufen und zu verzehren war, beanspruchten. Tja und damit ging es ja direkt um den Magen und schon sah ich sie, wie zwei Nobel-Ganoven aus einem alten französischen Schwarz-Weiß Film, wie sie jemanden den Magen entwendeten und sich aus dem Staub machten. Das waren am Anfang also vor allem optische Sequenzen, Filmszenen und daraus hat sich dann später die weitere Story entwickelt. Zunächst wusste ich nur, das so etwas passiert war, ahnte das weit mehr dahinter steckte und schrieb immer mal wieder ein paar Szenen auf. Aber erst als ich viele Jahre später anfing die Geschichte aufzuschreiben, wurde mir das ganze ungeheuerliche Ausmaß der Geschehnisse bewusst. Das war dann sehr intensiv, so sehr, dass ich mich teilweise wie erschlagen fühlte und den Stoff kaum noch unter Kontrolle bringen konnte.

Seit wann schreibst Du?

Ich glaub, ich hab mit 13 oder so in etwa angefangen, Tagebuch zu schreiben, mal mehr mal weniger intensiv und irgendwann kam dann vielleicht ein erstes Liebesgedicht dazu und dann viel Weltschmerz, aber auch Philosophisches, Ernsthafteres, so ab 16. Früher habe ich auch viel Lyrik geschrieben, dann immer mehr Prosa, Situationsskizzen, kurze Geschichten.

Mein erste längere Erzählung habe ich geschrieben, als ich Anfang der Neunziger eine Weile in Prag war. Da waren damals einige junge Künstler, oder sagen wir mal die meisten von ihnen eher so wie ich, Künstler in spe, Europäer, viele Amis. Ich las zu der Zeit Henry Miller und fühlte mich inspiriert durch das ganze Ambiente und die wunderschöne Stadt. Es war eine Liebesgeschichte die bei einer Sonnenfinsternis in Griechenland am Strand beginnt und in einer melancholischen Schlussszene in einer grauen Prager Plattenbausiedlung ihr Ende findet.

Hast Du vorher schon einmal etwas veröffentlicht?

Nein, bisher noch nicht. Ich habe bei einigen Lesungen mitgemacht, was ich immer spannend fand wegen der Resonanz des Publikums. Zu schreiben ist für mich oft auch ein Akt, der in grausamer Einsamkeit stattfindet. Da ist einfach niemand, wo man selber gerade ist, das Vorwärtskommen ist zäh und kräftezehrend. Ich denke, dass sich das vielleicht nicht völlig relativiert, wenn man veröffentlicht, aber das man dann zumindest erlebt, wie andere hinterher dazukommen.

Was liest Du? Hast Du ein literarisches Vorbild?

Ein literarisches Vorbild im engeren Sinne habe ich nicht. Aber es gibt schon Ikonen. Spontan sehe ich da Kafka, Cervantes, Dostojewski. Ich gehöre zu denen, die in früher Jugend etliche Karl May Bücher gelesen haben und ich habe bis heute Hesses gesammelten Werke in einer Suhrkamp Taschenbuch Gesamtausgabe. Ich habe immer wieder Phasen, in denen mich einzelne Autoren intensiver begleiten, einige treffe ich danach immer mal wieder, andere seltener, es ist eher ein Sammelsurium. Dabei sind Nikolai Gogol, Fernando Pessoa, Georg Heym, Robert Musil, Daniil Charms, Boris Vian, Pablo Neruda, Gabriel García Márquez, Mircea Eliade, Ismail Kadare, Haruki Murakami und viele mehr.

Momentan lese ich Teju Cole wie er in Open City flaneurhaft, aber einsam durch New York läuft und fremden Leuten und seiner eigenen Vergangenheit begegnet.

Was machst Du, wenn Du nicht gerade schreibst?

Mich hat schon immer das Andere fasziniert. Fremde Kulturen, neue Eindrücke, seltsame Dinge. Ich reise unendlich gerne, am liebsten Überland. 2008 sind meine Frau und ich in einem Jahr um die ganze Welt gereist ohne zu fliegen. Immer nur öffentliche Verkehrsmittel und über die Ozeane mit Frachtschiffen.

Beruflich arbeite ich als Neurologe und Psychiater. Ich koche oft. Manchmal gehe ich wandern und übernachte dann irgendwo im Wald. Ich mache gerne einen längeren Mittagsschlaf, wenn es irgendwie geht. Ich habe eine Familie mit zwei kleinen Kindern, was mit das Schönste und Intensivste ist, was ich in meinem Leben erlebt habe, was aber auch nicht unwesentlich dazu beiträgt, dass immer viel los und einiges zu tun ist, wenn ich nicht gerade schreibe.

Der erste Satz im „Magenkomplott“ erinnert deutlich an Kafka. Was bedeutet dir persönlich der Autor?

Sehr, sehr viel. Das erste, was ich von ihm gelesen habe, war „Der Prozess“, da war ich ungefähr 17 Jahre alt und es hat mich völlig umgehauen. Den Schlusssatz kann ich bis heute auswendig. Kafka ist sicherlich einer der Autoren, die mich am meisten beeindruckt haben in meinem Leseleben und er tut dies immer noch. Ich lese Kafka, die Erzählungen, die ich mir gleich nach dem „Prozess“ zu Weihnachten gewünscht habe, immer mal wieder, jedes mal mit Genuss und Staunen. Es ist mit das kraftvollste Deutsch, das ich kenne. Unvergleichbar ist für mich auch die Tiefe der menschlichen Empfindung, die in seinen Geschichten zum Ausdruck kommt, wie der Einzelne die Dinge, die Macht über ihn haben, nicht durchschauen oder verändern kann, wie sehr er sich auch windet und müht, in den absurden, abstrusen Situationen, in denen sich dann alles in einer schrecklichen Normalität und inneren Logik weiter entwickelt. Eigentlich sind es ja ganz und gar bedrückende Dinge, um die es meistens geht, eigentlich sind es Geschichten von Ohnmacht und Verzweiflung, aber sie sind für mich trotzdem voller Lebendigkeit. Und die Klarheit der Sprache und der Beschreibung hat etwas Erhebendes.

 

Thema Konsumkultur – kann Literatur etwas an unserem Konsumverhalten ändern oder ist sie nicht nur einfach ein Teil eben dieser Kultur?

Ich weiß es nicht. Vielleicht kann man sagen, dass gute Literatur etwas anderes ist als Konsumkultur, wenn Konsumkultur bedeutet, dass man Dinge konsumiert, ohne sie sich konkret erarbeitet, angeeignet zu haben. Insofern kann Literatur eine Alternative zur Konsumkultur sein, Lesen als Prozess der Aneignung eine alternative Erfahrung sein, die zur Erweiterung des Erlebten führt. Das hat aus meiner Sicht eigentlich nichts mit den Inhalten der Literatur zu tun.

Das Magenkomplott ist sicherlich unter anderem aus einem Konsumkultur-kritischen Impuls heraus entstanden, irgendwie auch aus Verzweiflung aber, nebenbei gesagt, andererseits auch aus Freude an der Geschichte selbst.

Die Frage ist aber auch, was als Alternative zum Kritisierten im Angebot ist und da sieht es meiner Meinung nach in unserer materialistischen durchindividualisierten Kultur ziemlich dünn aus. Da bietet sich ganzheitliches Himalaya Steinsalz aus dem Biosupermarkt als Identifikationsobjekt auch für den aufgeklärt-kritischen Leser einfach viel zu sehr an. Vielleicht müsste man die Leute eher in die Kirche oder in einen Tempel schicken als in den nächsten Buchladen, wenn es einem darum geht, das Konsumverhalten zu verändern.

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