Vor dreißig Jahren starb der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll. Was bleibt heute von dem engagierten Kölner?
„Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“ Das anklagende Motto Heinrich Bölls Die verlorene Ehre der Katharina Blum ist hinsichtlich der antigriechischen Stimmungsmache der letzten Monate absolut aktuell. Damals ging es nicht um Griechenland, sondern darum, wie eine unbescholtene junge Frau Opfer der Berichterstattung der Boulevardpresse wird, weil sie einen Straftäter liebt. Die Verunglimpfungen reichen von dem Vorwurf, eiskalt und berechnend zu sein, bis zur Betitelung als Terroristenbraut. In der Folgezeit muss sie zahlreiche Anfeindungen und hasserfüllte Anrufe erdulden. Als schließlich ihre schwerkranke Mutter aufgrund der Ereignisse stirbt, tötet sie schließlich wuterfüllt und verzweifelt den verantwortlichen Journalisten.
Engagierter Beobachter gesellschaftlicher Fehlentwicklungen
Böll, der heute vor 30 Jahren in Bornheim gestorben ist, war nie nur Schriftsteller, Intellektueller, Elfenbeinturmbewohner. Im Gegenteil, Heinrich Böll verstand sich immer auch als Bürger, der durch sein humanistisches Engagement von sich reden machte. Und ebendies Engagement würde ihm übel genommen – vor allem von Deutschlands konservativer Elite. Geistiger Urheber der RAF sei er, ein Sympathisant des „Linksfaschismus.“ Sein Haus in der Eifel wird von der Polizei durchsucht, die Familien seiner Kinder unter polizeiliche Beobachtung gestellt. Die Zeitung „Quick“ schreibt gar: „Die Bölls sind gefährlicher als Baader-Meinhoff.“ Zur Gewalt der Medien sagt Böll 1972 auf dem SPD-Parteitag in Dortmund: „Es ist in den vergangenen Jahren in diesem Land viel Gewalt sichtbar geworden, viel über Gewalt gesprochen worden und geschrieben worden. Stillschweigend hat man sich darauf geeinigt, unter Gewalt nur eine, die sichtbare zu verstehen: Bomben, Pistolen, Knüppel, Steine, Wasserwerfer und Tränengasgranaten. Ich möchte hier von anderer Gewalt und anderen Gewalten sprechen … gegen die massive publizistische Gewalt einiger Pressekonzerne, die in erbarmungsloser Stimmungsmache die Arbeit erschwert und Verleumdungen nicht gescheut hat.“
Heute ist Blum Verdächtige, Griechin, Flüchtling
Auch heute hätte Böll noch so einiges zu sagen. Wenn wir uns anschauen, zu welchem Hass die reißerische Berichterstattung einiger Zeitungen zu Themen wie Asylsuchenden oder der Griechenlandkrise führt, würde ich mir mehr kritische und gewichtige Stimmen wünschen, die sich dagegenstemmen. Leider ist Bölls Erbe nicht sehr präsent, nicht einmal in seiner Heimatstadt Köln, die sich scheinbar nur mit Bauchschmerzen dazu durchringen konnte, einen Platz in der Innenstadt nach ihm zu benennen. Einen Platz, der bei Konzerten in der sich darunter befindenden Kölner Philharmonie abgesperrt werden muss, damit die Schritte der Menschen nicht die Musik stören. Böll hätte mehr verdient. Ob er es sich auch gewünscht hätte, ist eine andere Frage.
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