In diesem Jahr konnten sich Buchhandlungen wieder für eine sogenannte Blind-Date-Lesung mit einer Autorin oder einem Autoren von der Longlist zum Deutschen Buchpreis bewerben. Das Besondere an diesen Lesungen ist, dass weder das Publikum noch der Veranstalter selbst weiß, wer an dem jeweiligen Termin lesen wird.
Die Buchhandlung Isabell Hoffmann im Sauerländischen Attendorn (ja richtig gelesen) gewann eine der acht Lesungen. Ich bin hingefahren, war sehr gespannt, wen ich dort lesen hören werde. Wie immer kam ich ein paar Minuten zu spät in das Café Moses, wohin die Lesung verlegt worden war. Das Café sollte laut Website eigentlich ein im Jugendstil eingerichtetes Kaffeehaus sein, wirkte auf mich mit seinen roséfarbenen Tischdecken, den vielen Blumenmustern und den Kristalllüstern an der Stuckdecke eher wie ein leicht kitschiges Puppenhaus. Ich huschte vorbei an der Kuchentheke, dem weißen Flügel und mehreren Zuschauern, die schon alle mit ihrem Getränk an den rosa gedeckten Tischen saßen. Erst jetzt konnte ich sehen, wer eigentlich da vorne hinter dem Mikrofon sitzt: Marion Poschmann – eine der wenigen Autorinnen der aktuellen Longlist, von der ich noch gar nichts gelesen hatte. Umso besser.
Poschmann stellte ihren Roman Die Kieferninseln vor. Darin geht es laut Klappentext um Folgendes: “Gilbert Silvester, Privatdozent und Bartforscher im Rahmen eines universitären Drittmittelprojekts, steht unter Schock. Letzte Nacht hat er geträumt, dass seine Frau ihn betrügt. In einer absurden Kurzschlusshandlung verlässt er sie, steigt ins erstbeste
Flugzeug und reist nach Japan, um Abstand zu gewinnen. Dort fallen ihm die Reisebeschreibungen des klassischen Dichters Basho in die Hände, und plötzlich hat er ein Ziel: Wie die alten Wandermönche möchte auch er den Mond über den Kieferninseln sehen. Auf der traditionsreichen Pilgerroute könnte er sich in der Betrachtung der Natur verlieren und seinen inneren Aufruhr hinter sich lassen. Aber noch vor dem Start trifft er auf den Studenten Yosa, der mit einer ganz anderen Reiselektüre unterwegs ist, dem Complete Manual of Suicide.”
Auf die Idee zu diesem Roman ist Poschmann während eines Japan-Aufenthaltes beim Goethe Institut in Kyoto gekommen. Hier hatte sie eigentlich Gedichte über die japanischen Gärten schreiben wollen, fand aber überall eine gewisse Ambivalenz in der japanischen Kultur und als stets präsentes Thema den Suizid. So ist das oben genannte Suizid-Handbuch in Japan wohl tatsächlich ein Bestseller.
Insgesamt war die Atmosphäre während der gesamten Lesung sehr still. Keine Zwischenfragen, kein Lachen, ein überaus braves Publikum. Umso interessanter war das, was Marion Poschmann über ihren Roman und dessen Entstehung erzählte. So konnte ich zum Beispiel noch etwas vom Bartforscher Gilbert Silvester lernen, nämlich dass nach unten zeigende Dreiecke Gefahr signalisieren und deshalb der Satan üblicherweise mit Ziegenbart dargestellt wird und nicht mit Vollbart. Das Buch werde ich in jedem Fall lesen und wünsche der Autorin, dass sie den Sprung auf die Shortlist schafft.
Hier geht es zu den Besprechungen meiner Buchpreis-Blogger-Kolleginnen Sarah und Ilke:
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