„Ich weiß sehr wohl, wie widersprüchlich man sein muss, um wirklich konsequent zu sein.“
Ein Außenseiter ist er gewesen. Ein Nichtgewollter. Ein Künstler und Held. Poet und Märtyrer. In diesem Jahr jährt sich der gewaltsame Tod, den Pier Paolo Pasolini in der so oft von ihm beschriebenen Peripherie Roms erleiden musste, zum vierzigsten Mal.
“Ich bin in eine für die italienische Gesellschaft typische Familie hineingeboren: Ich bin das Ergebnis einer echten Kreuzung, Produkt des Italienischen Einheitsstaates. Mein Vater stammt aus einer alten Adelsfamilie aus der Romagna, meine Mutter hingegen kommt aus einer Bauernfamilie aus dem Friaul, die sich allmählich bis in den Kleinbürgerstand hochgearbeitet hat. Seitens des Vaters meiner Mutter verdienten sie sich den Lebensunterhalt mit Schnapsbrennen. Meine Großmutter mütterlicherseits war Piemonteserin, was sie aber nicht daran hinderte, gleichermaßen auch Familienbindungen nach Sizilien und in die Gegend um Rom herum zu haben.”
Pasolini wird 1922 in Bologna geboren. Seine Eltern sind der Berufsoffizier Carlo Alberto Pasolini und die Volksschullehrerin Susanna Colussi. In seiner Jugendzeit prägt ihn die Ortschaft Casarsa della Delizia, in dem seine Großeltern mütterlicherseits lebten und wo er die Schulferien verbringt. Schon früh entsteht mit „Poesie a Casarsa“ ein Lyrikband im friulanischen Dialekt.
“Der Faschismus duldete die Dialekte nicht, sie waren Zeichen/der irrationalen Einheit dieses Landstrichs, in dem ich geboren bin/unerhörte und schamlose Realitäten im Herzen der Nationalisten!”
Mit 17 Jahren beginnt Pasolini in Bologna Kunstgeschichte zu studieren, muss das Studium jedoch aufgrund des Krieges abbrechen. 1943 wird er in Livorno eingezogen, verweigert den Befehl, den Deutschen die Waffen auszuliefern und flieht über Umwege wieder zurück nach Carsasa. Die weiteren Kriegsjahre verbringt er dort mit seiner Mutter und unterrichtet als Lehrer. In diese Zeit fällt auch die Entdeckung seiner Homosexualität und der Tod seines Bruders Guido, der als Partisan gegen das faschistische Regime und die Annexion des Friauls durch Jugoslawien gekämpft hatte.
Während seiner Zeit im Friaul wird Pasolini Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens an. Diese schließt ihn jedoch aus, nachdem er von drei seiner Schüler unsittlicher Handlungen beschuldigt und ihm „verderblicher Einfluss“ durch „dekadente Poeten und Literaten“ zur Last gelegt wurde.
Die kommunistische Tageszeitung L’Unità schreibt in der Ausgabe vom 29. Oktober 1949: „Die Ortsgruppe des PCI von Pordenone hat am 26. Oktober den Parteiausschluss des Dott. Pier Paolo Pasolini, aus Casarsa stammend, wegen moralischer Verwerflichkeit beschlossen. Wir nehmen die Tatumstände zum Anlass, die zu einem schwerwiegenden Disziplinarverfahren zu Lasten des Dichters Pasolini geführt haben, um noch einmal auf den verheerenden Einfluss gewisser ideologischer und philosophischer Strömungen hinzuweisen, für die Leute wie Gide, Sarte und andere hoch gepriesene Dichter und Literaten verantwortlich zeichnen, die sich als Männer des Fortschritts gerieren, in Wirklichkeit aber die negativsten Seiten des bürgerlichen Verfalls auf sich vereinen.”
Auch seine Stelle als Lehrer verliert er durch die Anschuldigungen, die sich als falsch herausstellen. Ohne Stelle und somit ohne finanzielle Grundlage geht Pasolini mit seiner Mutter nach Rom. Das war 1950. “Es war die Zeit der Fahrraddiebe, und die Literaten waren dabei, Italien zu entdecken”, schreibt Pasolini später in seiner Gedichtsammlung “Dichter der Asche” über diese Zeit des Aufbruchs. Dennoch sind die Zeiten in den römischen Vororten alles andere als sicher. Die Armut ist allgegenwärtig. So versucht der Dichter Arbeit zu finden, klopft in Cinecittà an und erhält eine erste Statistenrolle. Außerdem lektoriert er Manuskripte und verkauft Bücher auf den Märkten der Stadt. Er wird Mitarbeiter der Zeitschrift „Paragone“ und veröffentlicht dort das erste Kapitel von Ragazzi di vita. 1954 zeiht er in den Stadtteil Monteverde Vecchio und veröffentlicht seinen ersten bedeutenden Gedichtband La meglio gioventù.
In den folgenden Jahren arbeitet er als Drehbuchautor zusammen mit Regisseuren wie Bolognini, Rosi, Vancini und Lizzani, sein erster Roman kommt heraus und dreht eigene Filme. Und stets wird er angefeindet von der Presse und der offiziellen Kulturlinie der Kommunistischen Partei, die ihm morbiden Geschmack, Perversion und Zersetzung vorwirft.
In der Nacht zum 2. November 1975 wird Pasolini ermordet. Seine Leiche wird am Strand von Ostia gefunden, mehrfach mit seinem eigenen Wagen überfahren. Zwar wird 1979 der Stricher Pino Pelosi des Mordes schuldig gesprochen. Abschließend aufgeklärt wurde der Mord jedoch nie.
Einen Allround-Intellektuellen wie Pasolini könnten wir auch heute gebrauchen. Jemanden, der in unterschiedlichster Form die Auswüchse der Moderne kritisiert und den Materialismus, Hedonismus und den wachsenden Konsumterror anprangert.
Dokumentation zu den Todesumständen Pasolinis (auf Italienisch):
Diskussion nach der Filmvorführung “Die 120 Tage von Sodom” (Deutsches Filminstitut / Filmmuseum):
“Die Nacht, in der Pasolini starb” (mit deutschen Untertiteln):
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