“Wir sind zwar voll Ängsten, aber wir fürchten uns vor bedeutungslosen Dingen, und leere Ängste heißen Paranoia. Die wahre, die höchste Furcht fehlt uns. Die Angst vor uns selbst, die wir unfähig sind, den Schrei der nach Luft schnappenden Natur zu hören und zu sagen: Es reicht.”
Paolo Rumiz hat nahezu die ganze Welt bereist – als Kriegsreporter und Reiseschriftsteller. Dabei hat er, wie man sich vorstellen kann, unglaubliche, beeindruckende Dinge gesehen und erlebt, die unterschiedlichsten Menschen und Kulturen kennengelernt. In seinem neuen Buch “Der Leuchtturm” nimmt er uns jedoch mit auf eine kleine Insel irgendwo im Mittelmeer. Wie sie heißt, und wo genau sie sich befindet, erfahren wir nicht. Auf diese Insel zieht der Autor sich für drei Wochen in einen Leuchtturm zurück. Außer ihm selbst und den beiden Leuchtturmwärtern weit und breit keine Menschenseele.
„Man hat zu mir gesagt: ‚Du wirst dich langweilen‘, und ich stelle fest, dass ich keinen Augenblick Ruhe habe. ‚Worüber willst du an einem Ort schreiben, wo nichts passiert?‘ Ebenfalls ein Einwand bei meiner Abreise. Jetzt stelle ich fest, dass meine Notizbücher wahrscheinlich nicht reichen werden.“
So allein und fernab aller Hektik der Städte Rumiz hier ist, es gibt immer etwas zu tun, immer neue Eindrücke zu gewinnen. Und es ist alles andere als immer dasselbe. Er beschreibt die unterschiedlichen Winde des Mittelmeerraums, die Bora, die Tramontana oder den Schirokko. Jeder ist anders und entfaltet eine besondere Wirkung auf Natur und Menschen. Hier findet pure Entschleunigung statt oder vielmehr die Anpassung des Menschen an die Natur, seine Natur. “Im Sturm funktioniert die Vorstellung eines einzigen, gütigen und von der Vorsehung bestimmten Gottes nicht”, schreibt Rumiz und man erkennt, wie doch das reine, ursprüngliche Leben von der Natur abhängt und auf das Wohlwollen der Naturgewalten angewiesen ist.
Immer wieder schweifen seine Gedanken in Zeiten der alten Griechen und bringen uns den Kulturraum des Mittelmeeres, dieses verbindende Element zwischen Nord und Süd, Ost und West, näher. Dabei wird heutzutage das Mittelmeer vielmehr zur Barriere und für viele, die sich auf den Weg Richtung Norden machen, zur Todesfalle.
Der Leuchtturm ist ein Buch voller Achtsamkeit gegenüber der Natur, den Menschen und ihrer Geschichte. Als Leser ist man stets nah dran am kargen Leben auf der Insel, teilt Gedanken und Essen mit dem Autor. Dabei beschreibt Rumiz nicht nur einen Rückzug, sondern bezieht Stellung zu gesellschaftlichen und politischen Themen.
Paolo Rumiz
Der Leuchtturm
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
Folio Verlag, 2017
159 Seiten
EUR 20,-
Buchtrailer
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