Zum 40. Todestag Pier Paolo Pasolinis
Am 2. November 1975 starb der italienische Schriftsteller und Regisseur Pier Paolo Pasolini eines gewaltsamen Todes. Die Umstände seines Ablebens sind auch vierzig Jahre später nicht vollständig geklärt.
„Ich weiß sehr wohl, wie
widersprüchlich man
sein muss, um wirklich
konsequent zu sein.“Pier Paolo Pasolini
Man kann es wohl Ironie des Schicksals nennen. In der Nacht zum 2. November 1975 stirbt der große italienische Intellektuelle Pasolini in der römischen Peripherie. Mutmaßlich ermordet von einem jungem Prostituierten, Pino, la rana (der Frosch) genannt. Mehrfach überfährt sein eigenes Auto den Mann mit den markanten Gesichtszügen, den tiefen Furchen in den Wangen. Es könnte der Schluss eines seiner Romane sein. Der Schluss seiner eigenen “Vita violenta”.
Zu seinem vierzigsten Todestag gibt der Folio-Verlag mit “Kleines Meerstück” und “Romàns” zwei seiner frühen Erzählungen in einem Band neu heraus. Die beiden Schriften gelten als prägend für das spätere Werk Pasolinis. Während das kleine Meerstück von der Kindheit im friulanischen Sacile erzählt, beschäftigt sich Pasolini in seinem ersten realistischen Werk Romàns mit dem Umfeld der Bauern und Tagelöhner im Veneto und den Themen, die später zu Leitmotiven seiner Werke werden sollen: soziale Gerechtigkeit, Religion und Homosexualität. Themen, die ihn ein Leben lang beschäftigen sollen. Es ist die Geschichte eines jungen katholischen Priesters, der als Kaplan in das Dorf San Pietro kommt, und des Dorfschullehrers Renato.
“Nicht alle Knaben interessieren mich gleichermaßen. Und es sind nicht immer die, die es am meisten verdienten, deren Schicksal mir besonders am Herzen liegt.”
Pasolini selbst soll Lehrer mit großer Leidenschaft gewesen sein. Eine Leidenschaft, die wie vieles andere in seinem Leben ein jähes, unfreiwilliges Ende nehmen sollte. Pier Paolo Pasolini wird 1922 als Sohn des Berufsoffiziers Carlo Alberto Pasolini und der Volksschullehrerin Susanna Colussi in Bologna geboren. Seine Jugend ist von der Zeit im Friaul, in der Ortschaft Casarsa della Delizia, in dem seine Großeltern mütterlicherseits lebten und wo er die Schulferien verbringt, geprägt. Schon früh entsteht mit „Poesie a Casarsa“ ein Lyrikband im friulanischen Dialekt, schon das ein erstes Zeichen der Unangepasstheit, denn “der Faschismus duldete die Dialekte nicht, sie waren Zeichen/der irrationalen Einheit dieses Landstrichs, in dem ich geboren bin/unerhörte und schamlose Realitäten im Herzen der Nationalisten!”
Sein in Bologna aufgenommenes Studium der Kunstgeschichte muss Pasolini aufgeben, als er 1943 zur Armee eingezogen wird. Den Befehl, die Waffen an die deutschen Besatzer auszuliefern, verweigert er und flieht über Umwege nach Carsasa, in dem er die letzten Kriegsjahre mit seiner Mutter verbringt und als Lehrer unterrichtet. In jene Zeit fällt auch der Tod seines Bruders Guido, der als Partisan ebenso gegen den Faschismus wie gegen die jugoslawische Annexion des Friauls gekämpft hatte. Hier entdeckt Pasolini die eigene Homosexualität und wird Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens. Nachdem er jedoch von dreien seiner Schüler unsittlicher Handlungen beschuldigt wird und ihm der “verderbliche Einfluss dekadenter Poeten und Literaten” – unter anderen ist Sartre damit gemeint – zur Last gelegt wird, schließt die Partei ihn aus.
Auch seine Stelle als Lehrer verliert er durch die Anschuldigungen, die sich als falsch herausstellen. Ohne Stelle und somit ohne finanzielle Grundlage geht Pasolini mit seiner Mutter nach Rom. Das war 1950. “Es war die Zeit der Fahrraddiebe, und die Literaten waren dabei, Italien zu entdecken”, schreibt Pasolini später in seiner Gedichtsammlung “Dichter der Asche” über diese Zeit des Aufbruchs. Dennoch sind die Zeiten in den römischen Vororten alles andere als sicher. Die Armut ist allgegenwärtig. Hier findet er das, was er später “vorchristliches Barbarentum” mit einer epikureischen, stoischen Mentalität nennt. 1965 schreibt er: „Wo die Konventionen von den Regeln eines primitiven Egoismus diktiert werden, kann sich kein christliches Bewusstsein ausbilden.“
Hier versucht der 28-Jährige Arbeit zu finden, klopft in Cinecittà an und erhält eine erste Statistenrolle. Außerdem lektoriert er Manuskripte und verkauft Bücher auf den Märkten der Stadt. Er wird Mitarbeiter der Zeitschrift „Paragone“ und veröffentlicht dort das erste Kapitel von Ragazzi di vita. 1954 zieht er in den Stadtteil Monteverde Vecchio. Sein erster bedeutender Gedichtband La meglio gioventù kommt heraus.
In den folgenden Jahren arbeitet er als Drehbuchautor zusammen mit Regisseuren wie Bolognini, Rosi, Vancini und Lizzani, bringt seinen ersten Roman heraus und dreht eigene Filme. Und stets wird er angefeindet von der Presse und der offiziellen Kulturlinie der Kommunistischen Partei, die ihm morbiden Geschmack, Perversion und Zersetzung vorwirft. Generell ist er für die italienische Gesellschaft der sechziger und siebziger Jahre nur schwer annehmbar. In seinen Texten und Filmen erzählt er von einer Welt der Strichjungen, der Armen, der Huren und Ganoven. Eine Welt, die man lieber nicht sehen, nicht wahrhaben wollte, die jedoch in der unmittelbaren Nähe des Bürgertums, der Dekadenz, der Schönen und Reichen allzu real bestand. Seine Geschichten, seine Perspektive, ja er selbst ist nicht gewünscht. Aufgrund seiner sexuellen Exzesse wird sein letzter Film Die 120 Tage von Sodom in Italien vorerst verboten. Die Uraufführung muss 1975 in Paris stattfinden. Pasolini wird angefeindet, erhält Drohungen.
In der Nacht zum 2. November 1975 wird Pasolini ermordet. Seine Leiche wird am Strand von Ostia gefunden, mehrfach mit seinem eigenen Wagen überfahren. Zwar wird 1979 der Stricher Pino Pelosi des Mordes schuldig gesprochen. Abschließend aufgeklärt wurde der Mord jedoch nie. Im Gegenteil – 35 Jahre später, widerruft Pelosi nach der Haftentlassung sein Geständnis. In einer TV-Sendung behauptet Pelosi 2005, Pasolini nicht umgebracht zu haben, sondern lediglich Lockvogel gewesen sei. Die wahren Täter seien drei sizilianischen Dialekt sprechende Männer gewesen, von denen einer Pelosi damit gedroht habe, sowohl ihn als auch seine Eltern umzubringen, wenn er nicht schwiege. 2009 rollte die Staatsanwaltschaft den Mordfall Pasolini zum vierten Mal wieder auf. Ohne Ergebnis jedoch schlossen die Richter im Mai 2015 die Akte Pasolini wieder.
Pasolinis Werk ist kritisch, teils utopisch und meist desillusionierend. Als Poet, Journalist, Literat und Filmemacher war er wohl einer der produktivsten und anregendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Ein kritischer Intellektueller wie er fehlt heute im Italien der Unterhaltungsindustrie und des Konsumismus.
Aus dem Italienischen von Maria Fehringer
Mit einem Text zur Entstehungsgeschichte von
Nico Naldini und einer Nachbemerkung von Maike Albath
Folio-Verlag, 2015
160 S., 19,90 €
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