Lateinamerika Rezensionen Sachbuch

Juan Martín Guevara – Mein Bruder Che

Die Ikone mit Leben füllen

Che Guevara – das ist ein Mythos. Held und Staatsfeind. Button am Parker eines Jugendlichen, Aufkleber, T-Shirt-Motiv, Graffiti und Tattoo. Che, das ist der Prototyp des Revolutionärs und das am stärksten vermarktete Foto der Welt, Ikone des Widerstands und Bürgerschreck. Irgendwann aber ist da ein Mensch gewesen. Wer war dieser Mensch?

Nachdem Ernesto “Che” Guevara de la Serna 1967 im bolivianischen Dschungel ermordet wurde, hatte sich seine Familie dazu entschieden, zu schweigen, sich nicht öffentlich zu äußern. Ohnehin war es schlimm genug, wenn man in Argentinien während der Militärdiktatur mit Che in Verbindung gebracht wurde. Jetzt, 50 Jahre nach Guevaras Tod, bricht sein 15 Jahre jüngerer Bruder Juan Martín sein Schweigen und füllt den Mythos Che mit Leben.

Als Juan Martín zur Welt kommt, ist Ernesto bereits Jugendlicher mit einem Drang zu Freiheit und Abenteuer. Die Guevaras sind eine aus dem gehobenen Bürgertum stammende Familie. Jedoch sind sowohl Mutter als auch Vater so etwas wie die schwarzen Schafe ihrer Familien. Sie kümmern sich nicht um Konventionen und erziehen ihre Kinder freiheitlich.

“Wir haben einen schlechten Ruf. Meine Eltern sind als liberale und permissive bunte Vögel verschrien, deren Kinder alles dürfen, Bälger, die nach Lust und Laune mit allem möglichen Gesindel herumhängen. In der Tat leben die Guevara-Sprösslinge frei wie die Vögel in der Luft.”

Die Familie ist oft pleite, da der Vater eher Pechvogel als Geschäftsmann ist und ständig neuen Unternehmen nachgeht. Auch wenn es häufig an Geld fehlt, mangelt es nie an Büchern. Die ganze Familie ist wissbegierig und an Literatur, Philosophie und Kultur interessiert. Aufgrund Ernestos Asthma ziehen die Guevaras auf der Suche nach dem optimalen Klima häufig um.

Als Heranwachsender beginnt Ernesto durch den südamerikanischen Kontinent zu reisen. Auf die Reise selbst geht Juan Martín nicht so sehr ein, da die Geschichte schon oft genug erzählt wurde – zuletzt in Form des Spielfilms “Die Reise des jungen Che”. Generell erzählt Juan Martín nicht allzu viel über den Che, der allgemein bekannt ist, in der Zeit als  Revolutionär in der kubanischen Sierra Madre oder als Industrieminister der noch jungen kubanischen Regierung unter Fidel Castro. Vielmehr erfährt man über die Hintergründe dieser herausragenden Persönlichkeit. In kaum einer der zahlreichen Biografien wurde so intensiv über das Elternhaus und die Beziehung Che Guevaras zu seiner Familie, allen voran seiner Mutter, berichtet.

Den Mythos Che Guevara kann das Buch zwar nicht entzaubern, aber es hilft, diese Ikone mit Leben zu füllen und ihr ein menschliches Antlitz zu verleihen. Juan Martín zeigt nicht nur den politischen Aktivisten Che, sondern den Bruder Ernesto, den von der Mutter vergötterten Ernestito. Und er beschreibt einen Mann mit ungeheurer Willens- und Durchsetzungskraft, der bereits als asthmatischer Junge zum Rugby-Spieler wurde und sich später allein und ohne Geld auf ungewisse Reisen begab. Hinter dem Personenkult, der um Ernesto Che Guevara betrieben wird, und der ihm mit großer Sicherheit widerstrebt hätte, enthüllt das Buch einen charakterfesten, idealistischen, gebildeten, aber auch sehr warmherzigen Menschen.

Mein Bruder CheJuan Martín Guevara
Mein Bruder Che
Tropen Verlag 2017
352 Seiten
22,00 €

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