In dem Erzählband „Kurze Begegnungen mit Che Guevara“ nimmt der Amerikaner Ben Fountain seine Leser mit an Orte, die kein Tourist je zu Augen bekommen würde und erzählt von Abenteuern, von Tragik, Gefahren und nicht zuletzt von Hoffnung.
Nie und nimmer hätte John Blair, der angehende Doktor der Philosophie, damit gerechnet, dass er in den Bergen Kolumbiens gekidnappt werden könnte. Drei Wochen wollte er durch die Wälder ziehen und Sperlingspapageien beobachten. Natürlich kam es anders. „Du“, sagte der Comandante, der ihn für einen Spion hält, „du kommst mit.“ Und so beginnt für ihn eine Wochen andauernde Gefangenschaft in einem Guerilla-Lager mitten im kolumbianischen Urwald. Doch statt in Selbstmitleid zu versinken, beginnt Blair seine Studien.
Eine weitere Kurzgeschichte erzählt vom Melissa und ihrem Ehemann Dirk, dem Special Force Agent, der von einem Militäreinsatz aus Haiti zurückkehrt, wo er eine nicht nur spirituelle Beziehung zu einer Voodoo-Göttin eingegangen ist.
Die von Fountain beschriebenen Orte und Begebenheiten sind für den Leser, aber auch die amerikanischen Protagonisten im Buch selbst, befremdlich und teilweise geradezu grotesk. Selbst Länder, die sich in einer relativen geografischen Nähe zu den USA befinden, wie etwa Haiti, wirken wie andere Welten. Die Armen dieser Welt scheinen weiter entfernt zu sein als je zuvor. Und doch schafft es Fountain, gerade als Unruheherde bekannte Regionen und deren Einwohner zu vermenschlichen, indem er ihre Bindungen zu den amerikanischen Protagonisten der Geschichten zeigt. Seine Helden versuchen Gutes zu tun oder zumindest Schlechtes zu vermeiden und offenbaren in ihrem Tun die Komplexität menschlichen Handelns, das durch Ängste, Liebe, Macht oder Not beeinflusst wird.
„Kurze Begegnungen mit Che Guevara“ ist das zweite Buch von Ben Fountain. Sein erster Roman „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ war bereits ein Bestseller. Der in den USA bereits 2006 erschienene Erzählband wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Jede einzelne der acht Erzählungen in „Kurze Begegnungen mit Che Guevara“ ist so reich, so intensiv wie ein ganzer Roman. Eine große Leistung, wenn man bedenkt, wie viele Romane heute gerade einmal die Essenz einer Kurzgeschichte aufweisen. Fountain ist ein Meister darin, Befremdliches vertraut und Vertrautes befremdlich wirken zu lassen und hält der amerikanischen Gesellschaft gewissermaßen einen Spiegel vor. Einen Spiegel des Menschlichen, in dem man erkennen muss, dass die vermeintlich so unterschiedlichen Nationen gar nicht so weit voneinander entfernt sind.
Ben Fountain: Kurze Begegnungen mit Che Guevara
Aus dem Englischen von Pieke Biermann
Deutsche Erstausgabe
280 Seiten
ISBN 978-3-423-26067-1