Manchmal fragt man sich, warum wir so wenig lateinamerikanische Literatur lesen. Natürlich, da gibt es Paulo Coelho, den ständigen Anführer der Bestenlisten. Aber auch nach García Márquez, Neruda und Borges kommen so einige Autoren aus Lateinamerika, die mehr Beachtung verdienen. Einer von ihnen ist der 1941 geborene Argentinier Ricardo Piglia.
Sein neuer Roman „Munk“ dreht sich um den Universitätsprofessor Emilio Renzi – ohne Zweifel Piglias Alter Ego. Für eine Gastprofessur in der Nähe von New York verlässt der vor kurzem geschiedene Renzi seine Heimatstadt Buenos Aires. Dort an der amerikanischen Ostküste beginnt er eine Affäre mit der intelligenten und attraktiven Literaturwissenschaftlerin Ida Brown. Soweit klingt alles nach Campus-Novel. Doch dann kommt Ida bei einem ungeklärten Autounfall ums Leben. Das FBI ermittelt. Nur dank seiner russischstämmigen Nachbarin, wird Renzi über diese Situation nicht verrückt. Zur gleichen Zeit treibt ein Serienkiller sein Unwesen. Seine Opfer sind ausschließlich Akademiker. Renzi beauftragt einen Privatdetektiv, um hinter das Geheimnis des mysteriösen Unfall zu kommen. Es ergeben sich Zusammenhänge zwischen Idas Tod und der Mordserie – war sie hinter dem Killer her oder unterstütze sie ihn gar?
Das FBI kommt dem Täter schließlich auf die Spur. Der Killer heißt Thomas Munk – ein genialer Mathematiker, der zurückgezogen in einer Blockhütte im Wald lebt. Aber selbst nach der Überführung des Mörders ist die Geschichte für Renzi noch nicht zu Ende. Die Geschichte um diesen Munk kommt einem doch bekannt vor. Richtig, es ist die Geschichte von Theodore John Kaczynski, besser bekannt als der Unabomber. Wie Thomas Munk lebte der Anhänger eines naturzentrierten Anarchismus Kaczynski ähnlich wie seinerzeit Thoureau als Einsiedler in einer einsamen Hütte. Zwischen 1978 und 1995 verschickte er 16 Briefbomben, tötete drei Menschen und verletzte 23 weitere. 1995 verschickte der Unabomber anonym ein Manifest mit dem Titel „Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft“, in dem schildert, wie die machthabenden Eliten durch die gesellschaftliche Manifestation der Technik ihren Einfluss auf den einzelnen Menschen vergrößern und dass die Technisierung der Gesellschaft gestoppt werden müsse.
Nicht die Kriminalgeschichte ist das tragende Element des Romans. Piglia zeigt in Munk, wie Aufklärungsdrang zu Mordlust wird. Durch Munk stellt er die Frage, in welcher Form Widerstand gegen ein alternativlos erscheinendes System möglich ist. Und, selbst als Literaturwissenschaftler lehrend, fragt er in dem selbstbezogenen Roman, wie Texte gelesen und verstanden werden können, was sie offenbaren, verheimlichen und über ihren Autor verraten.
Munk
Aus dem argentinischen Spanisch von Cartsen Regling
256 Seiten
Wagenbach Verlag
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