In Berlin leben etwa 20.000 Menschen vietnamesischer Herkunft. Die meisten von ihnen sind in den 1970er Jahren als Vertragsarbeiter in die damalige DDR geholt worden. Um diese “stille Community”dreht sich Karin Kalisas Debütroman “Sungs Laden”.
Berlin-Prenzlauer Berg. Hier lebt die Autorin Karin Kalisa. Hier geht man eher weniger ins türkische Lebensmittelgeschäft, sondern macht seinen täglichen Einkauf beim Vietnamesen. In Berlin gibt es verhältnismäßig viele Menschen mit vietnamesischen Wurzeln. Teils noch in Vietnam geboren, teils in zweiter oder dritter Generation in Deutschland. Als nach dem Vietnamkrieg sich der vietnamesische Norden und Süden zur Sozialistischen Republik vereinigte, holte die DDR massenhaft so genannte Vertragsarbeiter ins Land. Ihre Geschichte weißt Analogien zum Schicksal der westdeutschen Gastarbeiter auf. Sie waren billige Arbeitskräfte, hatten kaum Rechte und sollten erst gar nicht wirklich in die Gesellschaft integriert werden. Was dadurch entstand ist diese stille Community, die irgendwie neben der Gesellschaft lebt. Genau hier spielt Karisas Roman.
Seinen Anfang nimmt die Geschichte in Sungs Laden. Sung ist Sohn vietnamesischer Einwanderer, die als Vertragsarbeiter in die DDR kamen. Sung ist Berliner. Prenzlberger, wenn man es genau nimmt. Eigentlich wollte Sung weiter Archäologie studieren, übernahm jedoch nach dem Tod seines Vaters den kleinen Laden, in dem man noch alles finden kann, was es sonst kaum mehr zu kaufen gibt. Mit dem Heimatland seiner Eltern verbindet ihn nicht mehr viel, nicht einmal die Sprache spricht er wirklich. Das ändert sich, als sein Sohn für eine Schulaufführung etwas typisch Vietnamesisches mitbringen soll und seine Mutter Hien, eine Holzpuppe, die lange Zeit eingewickelt in der Wohnung gestanden hat, hervorholt. Mit dieser Vorführung aber ändert sich noch mehr. Der gesamte Prenzlauer Berg beginnt, vietnamesisches Leben aufzunehmen. Überall sieht man auf einmal diese fürs vietnamesische Wasser-Puppenspiel gefertigten Figuren, Menschen lernen Vietnamesisch und der Nón lá, der vietnamesische Kegelhut, wird zum Modeaccessoire.
Karin Kallas erzählt in ihrem Debütroman voller Wärme von den schönen Dingen, die Offenheit und menschliche Begegnungen mit sich bringen können. Sie zeichnet die Utopie einer weltoffenen Stadt, in der man bereit ist, von den anderen zu lernen, in der man nicht nebeneinanderher, sondern zusammen lebt. Leicht in der Sprache, optimistisch und einfach schön. Aber dennoch eine Utopie. Gerade in der heutigen Zeit. Leider.
Roman
2. Auflage 2015. 255 Seiten
Erschienen: 14.07.2015 bei C.H. Beck
19,95 €
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