Woran denkt man im Allgemeinen, wenn man an Brasilien denkt? Samba, Karneval, Copacabana und Fußball sind Dinge, die einem einfallen mögen. Gerd Pfeifer, der einige Jahre selbst in Brasilien gelebt hat, beschreibt in seinem Erzählband Ana und die Fische ein gänzlich anderes Brasilien.
In der ersten Erzählung Ein Paar Turnschuhe wird der Leser direkt und mit voller Wucht in die Welt der Favelas, der Armenviertel Rio de Janeiros, katapultiert.
“Schließlich habe ich ihn vor lauter Frust vor den Camião gestoßen. Und der Idiot fällt genau vor die abgenutzten Reifen und lässt sich überfahren. Estúpido. Zum Glück war ich geistesgegenwärtig genug, mir die Schuhe zu krallen und abzuhauen.”
Das Leben inmitten von Wellblechhütten und Gewalt ist hart und unbarmherzig. Das spiegelt sich in der Sprache, dem Sound dieser Erzählung.
Mystischer wird es in der Geschichte Ana und die Fische, die dem Band seinen Namen gibt. Ana bringt elf Monate nachdem ihr frisch angetrauter Ehemann verschwunden ist ein Kind zur Welt. Zuvor hat sie sich jedoch in ein Haus am Strand zurückgezogen, und niemand bekam den neugeborenen Jungen zu Gesicht. Nicht einmal dessen Großeltern. Nur nachts wird sie regelmäßig gesehen, wie sie mit einem Bündel im Arm zum Wasser geht und weit hinaus schwimmt. Dort, fast auf offenem Meer, soll sie mit den Fischen spielen. Erst Stunden später kehrt sie erschöpft an den Strand zurück. Das tut sie jede Nacht, bis sie ihr Kind in den Wellen verliert und alleine zurückkehrt.
Ana und die Fische hat etwas Märchenhaftes. Realität und Unwahrscheinliches vermischen sich hier ganz in der südamerikanischen Tradition des Magischen Realismus. Alle vier in dem schmalen Band versammelten Erzählungen stecken voller teils unerklärlicher Ereignisse. Jede zeigt einen ganz eigenen Aspekt Brasiliens, dieses vielfältigen Landes. Jede kommt in einer anderen Sprache daher, mal hart und unerbittlich, dann wieder zärtlich und magisch anziehend.
Ana und die Fische. Erzählungen aus Brasilien
156 Seiten
Ripperger & Kremers Verlag
EUR 16,90
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