Raphaela Edelbauer ist mit ihrem Debüt-Roman “Das flüssige Land” sowohl für den Deutschen Buchpreis (Shortlist) als auch für den Österreichischen Buchpreis nominiert.
Die 1990 in Wien geborene und im niederösterreichischen Hinterbrühl aufgewachsene Autorin studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Sie war Jahresstipendiatin des Deutschen Literaturfonds und wurde für ihr Werk »Entdecker. Eine Poetik« mit dem Hauptpreis der Rauriser Literaturtage 2018 ausgezeichnet. Beim Bachmannpreis in Klagenfurt gewann sie 2018 den Publikumspreis. 2019 wurde ihr der Theodor-Körner-Preis verliehen.
Novelero ist “Buchpreispate” ihres Buches, und ich bin sehr angetan von dem Roman. Im Klappentext heißt es: “Ein Ort, der nicht gefunden werden will. Eine österreichische Gräfin, die über die Erinnerungen einer ganzen Gemeinde regiert. Ein Loch im Erdreich, das die Bewohner in die Tiefe zu reißen droht. In ihrem schwindelerregenden Debütroman geht Raphaela Edelbauer der verdrängten Geschichte auf den Grund.”
Ich habe Raphaela ein paar Fragen zu “Das flüssige Land gestellt” und sehr interessante Einsichten erhalten. Here we go:
In Deinem Roman „Das flüssige Land“ kommt die Physikerin Ruth Schwarz, deren Eltern kürzlich bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, nach Groß-Einland. In dieser kaum auffindbaren Stadt, aus der die Eltern stammen, möchte Ruth deren Beerdigung organisieren. Zwar kommt sie nicht dazu, bleibt jedoch viel länger und wird von der Gräfin, die das Sagen im Ort zu haben scheint, angestellt, um eine Lösung gegen das weitere Absinken von Groß-Einland zu finden. Unter der Stadt befindet sich ein riesiger Hohlraum, der Bergwerk war und zeitweise als Außenlager des KZ Mauthausen genutzt wurde. Nun versinkt die Stadt in der eigenen Vergangenheit. Groß-Einland, das große Ganze, das eine Land im Kleinen. Wie sehr ist Groß-Einland Metapher für Österreich?
Sehr, was aber nicht heißt, dass es nicht ebenso Metapher für gewisse Regionen Deutschlands sein kann. Prinzipiell gesagt, denke ich, dass Literatur sich immer mit Phänomenen beschäftigt, die zwar sehr spezifisch sind, aber den Charakter des Repräsentativen haben. Ich habe gewisse Facetten Österreichs genommen und sie bis zum Komischen, Bizarren, teilweise Surrealen übersteigert, ohne dass sie damit ihre Eigentlichkeit eingebüßt hätten. Österreich ist einfach komisch, bizarr und surreal.
Wie sehr wirkt sich unsere Geschichte bzw. die Geschichte unserer Eltern und Großeltern auf unser jetziges Leben aus? Meinst Du, wir können heute noch so etwas wie Zerrissenheit spüren für eine Vergangenheit, die wir gar nicht selbst erlebt haben?
Mir ging es nicht so sehr darum, wie man im engeren Sinne beeinflusst ist – obwohl ja die ganze Ortschaft ins Bodenlose stürzt – sondern vielmehr darum, dass die angesprochene Zerrissenheit in den Narrativen überlebt. Und wenn es durch die Sprache selbst oder im engeren Sinne das Verhältnis zur eigenen Identität einen solchen Riss gibt, dann spüren wir das wohl.
Da kommt auch ein weiteres interessantes Thema ins Spiel – die Zeit. Ruth selbst forscht als theoretische Physikerin an der Zeit und man merkt sehr früh, dass in Groß-Einland die Uhren anders zu ticken scheinen. So ganz genau erfährt man auch nicht, wie lange sich Ruth nun wirklich dort aufhält. Sind es drei Jahre oder gar sechs Jahre? Die Zeit scheint ein wenig ihre Bedeutung zu verlieren. Ist es nicht so, dass Zeit keine Rolle spielt, wenn es dunkle Seiten der Vergangenheit aufzudecken gilt?
Mit dieser Rolle der Zeit spiele ich ja dauernd: Einmal rast sie, während die Bewohner gespenstisch konstant bleiben, dann steht sie still und die Ablagerungen von Jahrhunderten zeigen sich bis in die Gegenwart hinein. Meine These, für die ich mir die Traumzeitkonzepte der Aborigines ausgeborgt habe, war, dass all diese Tendenzen sich in der Landschaft vereinigen. Viele der Aborigines glauben, dass wir in der heimatlichen Landschaft den Taten der Ahnen begegnen.
Womit wir in der Landschaft, sprich in dem Loch, auch den Taten der Weltkriegsgeneration begegnen. Das hieße damit auch, dass es nie einen sogenannten „Schlussstrich“ unter der Geschichte des Nationalsozialismus geben kann, wie ihn so manch einer heute fordert?
Natürlich kann es das nie. Wenn ein Staat aus einem Massenmord heraus entstanden ist, den eine ganze Generation mitgetragen hat, kann man das niemals. Vor allem aber sollten wir keinen Schlussstrich unter die gegenwärtige Politik setzen, und die ist grauenhaft genug.
Im Feuilleton wird Dein Roman bisweilen als Anti-Heimat-Roman bezeichnet. Was bedeutet eigentlich Heimat für Dich?
Ich glaube, dass wir den Heimatbegriff nicht mehr rehabilitieren können, dass er quasi unrettbar vereinnahmt wurde. Wir können aber gerade heute froh sein, ein sicheres Herkunftsland zu haben und uns bemühen, dieses gerade angesichts rezenter Klimakrisen für die kommenden Generationen respektvoll zu behandeln.
Vielen Dank!
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