Eigentümer des Selbstmords
Édouard Levé – Selbstmord
“Selbstmord” ist nicht nur der letzte Roman des französischen Schriftstellers und Fotografen Édouard Levé – das Buch ist sein Vermächtnis. Zehn Tage nachdem er das Manuskript beendet und an den Verlag gegeben hatte, erhängte sich Levé.
“Wenn jemand mir von einem Selbstmord berichtet, denke ich an dich. Doch wenn mir jemand erzählt, dass einer an Krebs gestorben ist, denke ich nicht an meinen Großvater oder meine Großmutter, die auch daran gestorben sind. Sie teilen diesen Tod mit Millionen von Anderen. Du bist der Eigentümer des Selbstmords.”
Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag, wenn man so will. Oder vielmehr einem Schlag in die Magengrube des Lesers. Es beginnt an einem Samstag im August, an dem der Freund des Erzählers mit seiner Frau das Haus zum Tennisspielen verlässt. Vortäuschend, er habe seinen Schläger vergessen, begibt er sich allein zurück ins Haus, geht in den Keller und erschießt sich.
Das Buch ist ein Monolog im Stil der “écriture automatique“, in dem der Erzähler sich an seinen aus dem Leben geschiedenen Freund direkt anspricht und dabei dessen Leben ausleuchtet, Gedankengänge und Eigenheiten beschreibt, um Antworten zu finden. Antworten, die er nicht mehr finden wird. Der Suizid des Freundes ist nicht nur Anfangspunkt des Romans, sondern wird zum Ausgangspunkt dessen Lebens. Vom Zeitpunkt seines Todes ausgehend wird über seine Person, seine Gedanken und seine Absichten nachgedacht. “Dein Leben war eine Vermutung. Diejenigen, die alt sterben, sind ein Brocken Vergangenheit. Man denkt an sie und sieht, was sie waren. Man denkt an dich und sieht, was du hättest sein können.”
Nach und nach entfaltet sich die Persönlichkeit des jungen Mannes, der zwar eine glückliche Ehe und beruflichen Erfolg hatte, jedoch auch nachdenklich, introvertiert und depressiv war. Was sich aber vor allem hier zeigt, ist eine Normalität, die nahezu allen bekannt ist. In den Macken, Eigenheiten, Angewohnheiten des beschriebenen Freundes finden wir uns wieder. Er ist eben kein Verrückter oder Freak, sondern jemand, der daran zerbrach, sich fremd zu fühlen in einer Welt, die nicht die seine war.
“Du hast dich nicht darüber gewundert, dich als weltfremd zu empfinden, sondern über die Tatsache gestaunt, dass die Welt ein Wesen hervorgebracht hatte, welches in ihr wie in der Fremde lebte.”
Und eben dieses Normale am Protagonisten ist es, was beunruhigt. Umso mehr, wenn man sich bewusst macht, dass der Autor selbst nach der Fertigstellung des Romans den Weg in den Tod gewählt hat. Ob gewollt oder nicht, wird das Buch zu einer Art Abschiedsbrief, einer Erklärung für das Unerklärliche.
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