Deutscher Buchpreis Rezensionen

Maxim Biller – Sechs Koffer

Maxim Biller Sechs Koffer

Okay, Biller nun also. Biller, das war für mich lange einer, der aus der Literaturbetrieb herausstach, der polarisiert, der als Mitglied des neuen Literarischen Quartetts die Rolle des ewig stänkernden Intellektuellen übernahm. Man kann ihn wohl entweder mögen oder hassen, wenn man sich die Meinungen über ihn in Blogs, Social Media etc. anschaut. Ich tue weder das Eine noch das Andere. Aber ich finde ihn und das, was er zu sagen hat, äußerst interessant. Nun soll es hier gar nicht um die Person Maxim Biller gehen – auch wenn diese vielleicht zum Verständnis seiner Literatur zwangsläufig ebenfalls betrachtet werden muss. Vielmehr möchte ich mich mit seinem neuen Roman Sechs Koffer, der auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2018 steht, beschäftigen.

Ein Krimi? Ein autobiographischer Roman?

Der Klappentext zu Billers Sechs Koffer stellt die Frage, wer Schmil Grigorewitsch Biller verraten hat, wer für seinen Tod verantwortlich ist, ins Zentrum. Der Roman sei ein Krimi, das ist er vielleicht randläufig. Er sei ein psychologisches Familiendrama; das trifft es schon eher.

Öffnet man Billers sechs Koffer, findet man je ein Kapitel. Alle zwar erzählt von ihm selbst, oder der wohl ihm entsprechenden Romanfigur, doch im Mittelpunkt jedes Kapitels steht ein anderes Familienmitglied mit all seinen Gedanken, Verdächtigungen und Erinnerungen, die auch schon einmal deutlich voneinander abweichen können (war der Kühlschrank rot oder blau?). Biller schaut tief in die Köpfe seiner Eltern, seiner Onkel und Tante und seines Großvaters, der, wenn man seinem Roman Glauben schenken mag, vom KGB hingerichtet worden ist. Dabei bekommt der Leser diese Perspektivwechsel kaum bewusst mit.

Oft ist das Drama das, was nicht ausgesprochen wird

Jede Familie hat ihr eigenes Drama, ihre eigene Geschichte, über die man lieber schweigt. Sechs Koffer ist die Geschichte der Familie Biller, die über Länder, unterschiedliche politische Systeme und Kontinente verteilt ist. Das zwischen den Mitgliedern gespannte Band ist das Geheimnis um den Tod des Patriarchen, des Taten, Maxims Großvater Schmil. Jeder hat eine andere Vermutung, wessen Verrat zur Verurteilung Schmils geführt hat. Geklärt wird das jedoch in keinster Weise. Nein, ebenso wenig wie der Ich-Erzähler die Staatssicherheits-Akte seines Onkels Dima komplett erforscht, liest er den Brief seiner Tante Natalia zu Ende, den diese seinem Vater geschrieben hatte. Vielmehr spielt Biller mit Andeutungen und Vermutungen, die nicht bis zum Ende gedacht und schon gar nicht ausgesprochen werden, und lässt die Frage bis zum Schluß offen. Und es ist auch nicht wichtig, wie die Antwort auf die Frage ausfiele, denn sie würde nichts ändern, außer vielleicht das Interesse der noch bleibenden Familienmitglieder aneinander zu schmälern.

Die eigene Verortung in einem Jahrhundert der Gegensätze

Wer nun in Billers Roman lediglich einen Krimi, eine tragikomische Familiengeschichte lesen will, der schaut nicht tief genug. Hier wird nicht bloß in etwas selbstironischer Weise die Geschichte eines Familiengeheimnisses erzählt. Vielmehr zeigt Biller hier Ausschnitte aus einem Jahrhundert der Gegensätze und seine jüdische Familie mittendrin – im osteuropäischen Shtetl, während des Holocaust ebenso wie in der Sowjetunion, der “ostblockinternen” Emigration und im Nachkriegsdeutschland. Es geht hier um die Selbstverordnung in diesen Gesellschaften und Systemen, auch um das Jüdisch-Sein in unterschiedlichen Ländern, Kulturen und Zeiten. Und hier kommen wir an die Stelle, wo es dann doch um die Person Maxim Biller geht. Denn – und das kommt nur äußerst selten vor – hier möchte ich einem Blogger-Kollegen gerne widersprechen. Tobias Nazemi vom Buchrevier hat ebenfalls über Billers neuen Roman geschrieben, in Form eines Leserbriefes. Dort schreibt er etwa Folgendes: “Immer wieder hast du dein Jüdisch-Sein als Begründung für irgendwas herangezogen. ‚Wir Juden können darüber nicht lachen, als Jude sehe ich das anders, Juden sagen immer die Wahrheit, ich als Jude meine dies und das.‘” oder “Immer wieder im gleichen deutsch-jüdischen Geschichtensaft zu schmoren, ist auf die Dauer auch langweilig.” Erst einmal, nein, ich finde es keineswegs langweilig. Genauso wenig “langweilig” finde ich es, immer wieder über unsere Geschichte zu reden, zu schreiben, Filme darüber zu drehen. Und damit meine ich nicht (nur) die Zeit des Faschismus oder der Weltkriege. Ich finde ich wichtig, auch heute zu versuchen, etwas über uns selbst herauszufinden. Warum sind wir heute so wie wir sind? Was hat unsere Vergangenheit, die Vergangenheit unserer Eltern und Großeltern zu unserer Identität beigetragen? Inwiefern fließen ihre Erfahrungen in unser Denken ein? Nicht nur die eigene Kultur, auch die Geschehnisse der Vergangenheit prägen Einzelne wie auch soziale Gruppen. Und somit kann Biller durchaus betonen, wie er als Jude verschiedene Dinge sieht. Vielleicht hilft es uns ein wenig, nachzuvollziehen. Ich sehe durch meine eigene Sozialisation manche Dinge auch anders, ob als Arbeiterkind, Sohn eines italienischen Immigranten, Enkel eines ehemals Inhaftierten in einem Nazi-Arbeitslager oder was auch immer. Wichtig ist zu versuchen, die unterschiedlichen Perspektiven zu verstehen und frei nach außen kommunizieren zu können, womit man sich identifiziert. Und wenn das Jüdisch-Sein für jemanden ein wichtiger Teil der eigenen Identität ist, dann soll er dies so oft und so ausführlich ausdrücken wie er möchte. Es ist an den Anderen, demjenigen zuhören zu wollen oder eben nicht. Ich für meinen Teil höre gerne weiterhin zu.

Maxim Biller - Sechs KofferMaxim Biller
Sechs Koffer
Kiepenheuer&Witsch
Erschienen am: 08.08.2018
208 Seiten
19,00 EUR

 

 

 

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