Manja Präkels wurde 1974 in Zehdenick/Mark geboren und arbeitete als Lokalreporterin in Brandenburg, bevor sie nach Berlin zog, um Philosophie, Osteuropäische Geschichte und Soziologie zu studieren. Dort arbeitet sie heute als freie Autorin und Musikerin. Letztes Jahr erschien ihr Debüt-Roman Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß, der mit dem Kranichsteiner Jugendliteratur-Stipendium 2018 ausgezeichnet und für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2018 nominiert wurde. Darüber hinaus erhält sie für den Roman den Anna-Seghers-Preis 2018. Ich habe Manja zu ihrem Roman, Neonazis in Ost- und Westdeutschland und zu Erich Mühsam befragt. Dabei ist eines der interessantesten Interviews überhaupt auf novelero herausgekommen. Aber lest selbst.
Am 13. Juli gab es einen „Abend für Erich Mühsam“ in Berlin mit Lesungen und Musik. Du warst mit deiner Band „Der singende Tresen“ auch dabei. Außerdem bist du gemeinsam mit Markus Liske Herausgeber des im Verbrecher-Verlag erschienen Mühsam-Lesebuches „Das seid ihr Hunde wert!“ Warum gerade der Anarchist Erich Mühsam? Wie aktuell ist Mühsams Werk heute?
Mühsams umfangreichstes Werk – seine Tagebücher – wird erst seit ein paar Jahren peu à peu veröffentlicht, ebenfalls im Verbrecher Verlag, herausgegeben von Chris Hirte und Conrad Piens. An seinem Leidensweg und schließlich dem seiner Gefährtin Zenzl werden die ideologischen Verheerungen des 20. Jahrhunderts gut sichtbar. Mühsam, der Dichter, Revolutionär und Bohemien, war ein Antiautoritärer par excellence. Mit seinen Gedichten und Tagebuchaufzeichnungen hat er mich schon in meiner Jugend abgeholt und nicht mehr losgelassen. Er war wie Medizin für mein gebrochenes Pionierherz und eröffnete eine Welt jenseits der Bevormundung. Die Mauer war gefallen. Systeme brachen. Ich bin ziemlich streng erzogen worden, war verdruckst und eingeschüchtert. Woran sollte ich noch glauben, nun, wo alles nichts mehr zählte? Etwas an den Ideen hatte doch gestimmt, oder? Da steht dann Mühsam und erklärt: Klar. Die Welt muss radikal verändert werden, so elend, wie ein Großteil der Menschheit zu leben und sterben gezwungen ist. Es kann eigentlich nur besser werden! Los, fang an. Da vorn am Horizont warten großartige Zukünfte einer Gesellschaft der Vielen, die solidarisch mit- und nicht gegeneinander leben. Die Sache hat nur einen Haken: Dafür musst du alles geben. So würde ich mein persönliches Mühsam-Update heute formulieren. Sicher war er in manchen Fragen Kind seiner Zeit. Und doch reichte sein Blick weit darüber hinaus. Auch dass er meist zwischen allen Stühlen saß, nimmt mich sehr für ihn ein. Ein Ort der besten Übersicht!
Erich Mühsam wurde wie viele weitere politisch Andersdenkende Opfer der Nationalsozialisten und starb im KZ Oranienburg. Wo wir gerade beim Stichwort Nazis sind – dein Roman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ ist im letzten Jahr veröffentlicht worden. Darin beschreibst du die Zeit nach der Wende in Ostdeutschland bzw. erzählst du die Geschichte von Mimi und deren Freunden, die von Nazi-Banden angegriffen werden und zum Teil um ihr Leben fürchten müssen. Wie autobiographisch ist dein Roman?
Alles ist wahr. Nichts stimmt. Ich habe den Zusammenbruch der DDR, ebenso wie meine Protagonistin Mimi, im zarten Alter von 15 erlebt. Pubertät und Systemausfall bzw. -übernahme fielen in eins. Die berühmtesten Ostdeutschen meines Alters heißen Zschäpe, Mundlos, Böhnhard und Frauke Petry. Vor allem in meiner Zeit als Lokaljournalistin, 1994-1998, habe ich vieles beobachtet, erlebt und gehört, dass letztlich als geronnene Erfahrung in den Roman eingeflossen ist. Mein Augenmerk liegt auf der sozialen Katastrophe, die mit dem Zusammenbruch des Staatskommunismus einherging, den unmittelbaren Auswirkungen auf Körper und Köpfe derer, die nicht mehr Kind und noch nicht erwachsen waren. Es wurden regelrechte Menschenjagden veranstaltet. Auch ich musste auf der Hut sein. Von meinen Lesungen quer durchs Land weiß ich, dass es mancherorts so geblieben ist.
Wie fühlt es sich heute an, in deine Heimatstadt zurückzukehren? Gibt es dort irgendwelche Anfeindungen, denen du ausgesetzt bist?
Die Heimkehr hat immer etwas Bittersüßes. Einerseits bin ich mit Landstrich und Leuten so vertraut wie nirgends sonst. Andererseits lauern überall Fallen, an die ich mich nie gewöhnen werde. Sprich nicht so laut. Sag nicht, was du denkst. Sei pünktlich und geh schnell wieder. So was. Man will sofort aus Trotz Gedichte in die Gassen brüllen. Oder Frisiersalons auf den Todesstern beamen. Die Leute, die das Buch nicht gelesen haben, regen sich am meisten drüber auf. Es ist wie bei einem Kind, das sich nicht traut, unter sein Bett zu gucken, weil es dort ein Monster vermutet. Aber vielleicht ist es auch nur die alte, übliche Kläglichkeit. Denkfaulheit.
Viele liberale und linke Leute sind in den Neunzigern aus den ländlichen Gebieten in Richtung Großstadt gezogen. Du bist ebenfalls nach Berlin gegangen. Wie sehr hatte das mit den Bedrohungen durch Rechtsextreme zu tun?
Ich musste fortgehen, ja. So, wie viele andere auch und bis heute: engagierte Menschen, Bürgermeister, Journalisten. Ich hatte mir nicht nur als Lokaljournalistin einen gewissen Ruf erarbeitet, habe Polizeiberichte vervollständigt und zum Beispiel regelmäßig von der Arbeit der Forscherinnen in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück berichtet. Es ist ja nach wie vor unfassbar, dass in weiten Landstrichen (nicht nur) Ostdeutschlands eine klare, antifaschistische Haltung mehr Widerstand erzeugt, als – sagen wir mal – ein Muskelprotz mit in Fraktur gesetztem “Stürmer”-T-Shirt. Das eine wird als gefährlich, das andere als Folklore betrachtet. Damals wie heute. Die Menschen, die überall im Land gegen solche Alltagsstrukturen ankämpfen, sich wehren, von Rassismus und anderer Gewalt Betroffene unterstützen, verdienen unser aller Hochachtung, Unterstützung und Respekt.
Heute gehören viele rechte bis rechtsextreme Positionen, die vor vielleicht zehn, fünfzehn Jahren noch absolut untragbar waren, schon zum Mainstream. Wie erklärst du dir das?
Zunächst war das ja nie verschwunden. Erst beschwiegen die Leute alles, was mit der Nazizeit zu tun hatte. So konnten Nazis erneut Kariere machen. Dann verwüsteten Neonazis und enthemmte Schlägertrupps Anfang der Neunziger die Provinzen der neuen, doppelt deutschen Republik. Wieder wurde geschwiegen und ignoriert. Die Liste der Opfer rechtsradikaler Gewalt ist lang. Die Aufklärungsquote gering. Eine Kassiererin wird für den Diebstahl von wenigen Cent verurteilt, während Menschenjäger und Hetzer mit erhobenen Häuptern geringen Strafen entgegen sehen. Die Nazi-Kids der 90iger waren Avantgarde, wurden die neuen Sexsymbole der Schulhöfe und haben inzwischen selber Kinder. Niemand hat sie je zur Rede gestellt. Diese Leute sind heute anerkannte Mitglieder ihrer jeweiligen Gemeinschaft, haben zu reden gelernt, sich zu verkaufen. Es hat keine gesellschaftliche Debatte darüber gegeben, dass im großen schwarzrotgoldenen Taumel Häuser brannten. Mit Menschen darin. Auch nicht im Zusammenhang mit den ungeheuerlichen Morden des NSU. Ganz im Gegenteil. Struktureller und gesellschaftlicher Rassismus bleiben tabuisiert, werden gedeckelt, verharmlost und ignoriert. Ordnen wir das Ganze in europäischen und globalen Maßstäben ein, sehen wir eine gewaltige Sinnkrise. Bis hin zum Fortbestand unseres Planeten wird alles dem Gewinnstreben Einzelner untergeordnet. Diese Art Gewalt lässt die Leute ausflippen und aufeinander eindreschen. (Ich hab da immer an den Brecht/Eisler-Song “Ein Pferd klagt an!” im Ohr.)
Sind Linke oder Liberale zu still, tun sie zu wenig, um der Entwicklung gegenzusteuern?
Es wird schon viel geredet und geschrieben. Und immer hat es Mahner gegeben. Trotzdem scheinen viele die Tragweite dessen, was geschieht, nicht zu begreifen oder begreifen zu wollen. Jahr für Jahr sind die Monster unter unseren Betten weiter gewachsen, und jetzt tun wir so, als wären die Dinger normal. Glaubt man den Schlagzeilen, den Nachrichten, herrscht der permanente Ausnahmezustand und alles, was sich die Leute wünschen, ist ein neues Auto. Wenn die Menschen jung sind, ein neues Smartphone. Stimmen der Vernunft will keiner hören. Zu langweilig. Im Ernst: Worte zu finden, für das Unaushaltbare, ist das Eine. Sie zu hören und wiederum auszuhalten, das Andere. Oft fehlt der Mut für beides. Aber am Schlimmsten ist die Gleichgültigkeit derer, die es nicht einmal versuchen. Ein riesiges Carport vor der Tür, Sozialpornos gucken und sich vor Obdachlosen ekeln. Dagegen hilft nur Enteignung. Dieses Wort habe ich direkt aus der Gruselkiste gezogen! Wie falsch all das ist, versteht jedes Kind. Leider wird diese simple Erkenntnis mit dem Älterwerden meist verschüttet.
Was könnte man tun, um rechtem Populismus entgegenzutreten? Auch in Hinblick auf die Frankfurter Buchmesse im kommenden Herbst. Hier gab es ja im letzten Jahr sehr viel Diskussionsbedarf. Sollte man rechte Verlage ignorieren oder sind Initiativen wie etwa „Verlage gegen Rechts“ der richtige Weg?
Das Aktionsbündnis “Verlage gegen Rechts” hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Fehler der Frankfurter Messe auf der Leipziger nicht wiederholt wurden. Die Auseinandersetzung mit rechten Populisten erfordert eine gute Vorbereitung, das Argumentieren mit Fakten und Erfahrungen. Wenn neue und alte Nazis die Grundlagen unserer Zivilisation in Frage stellen, indem sie Menschen in werte und unwerte einteilen, dann muss unsere Antwort stärker sein als ihre Frage, selbstverständlich und klar: Ihr seid im Unrecht. Gleichzeitig darf nicht verschwiegen werden, wie eng Rassismus, Antisemitismus, Chauvinismus, Homophobie, Mysogynie und Kapitalismus ideologisch miteinander verwoben sind. Und wer mit geschärften Sinne über Messen, Straßen, Plätze läuft, kann sehr wohl erkennen, dass menschenverachtende Ideologien raumgreifend wirksam werden. Im Alltäglichen kann jeder Einzelne etwas dagegen tun. Fragen: “Hallo, warum tragen sie dieses T-Shirt?” Solidarisch handeln, wenn ein Mitmensch beleidigt oder bedroht wird. Wissen und sagen, dass es nicht um Meinungen, sondern um Verbrechen geht.
Manja Präkels
Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß
232 Seiten
Verbrecher Verlag
20,00 EUR
Titelfoto: Nane Diehl
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