Man spricht wieder über Klasse. Mit dem Aufstieg westlicher Wohlstandgesellschaften schien sie zunächst als historisches Subjekt verschwunden zu sein. Doch sie ist wieder da, war eigentlich nie weg. Nicht erst seit dem Romandebüt von Christian Baron (“Ein Mann seiner Klasse“) oder Didier Eribons “Rückkehr nach Reims” – nein, soziale Klassen sind seit einiger Zeit wieder Teil des Diskurses. So schreibt etwa Schriftsteller Michael Ebmeyer in der Zeit: “Deutschland ist eine Klassengesellschaft, die so tut, als wäre sie keine. Gerade das macht sie besonders undurchlässig, wie jede vergleichende Statistik zur ‘sozialen Mobilität’ in Europa von Neuem belegt.”
Wenn wir aber von Klasse sprechen, dürfen wir von Klassismus nicht schweigen. Klassismus, das ist diese fast vergessene, aber immer dagewesene Form der Diskriminierung – nicht aufgrund des Aussehens, der Religionszugehörigkeit oder der sexuellen Orientierung. Klassismus beschreibt Vorurteile, die Ausgrenzung und die Benachteiligung von Menschen aufgrund deren sozialer Herkunft oder sozialer Position. Dies kann auf medialer Ebene stattfinden bzw. befördert werden. Man denke nur an das sogenannte Unterschichtenfernsehen und an das, was man getrost als Armutsvoyerismus bezeichnen darf. Das Schüren von Vorurteilen gegenüber Arbeitslosen wurde bereits in mehreren Publikationen thematisiert, so etwa im 2012 erschienenen Buch Faul, frech, dreist. Die Diskriminierung von Arbeitslosigkeit durch Bild-Leser*innen“ von Christian Baron und Britta Steinwachs.
Klassismus und Wissenschaft
Klassismus findet auch in der Wissenschaft und im Bereich der Bildung statt. Mit diesem Thema setzt das kürzlich erschienene Buch “Klassismus und Wissenschaft – Erfahrungsberichte und Bewältigungsstrategien” auseinander. Die Herausgeber Riccardo Altieri und Bernd Hüttner möchten damit einen “Beitrag dazu leisten, die strukturelle Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft stärker sichtbar zu machen.” Hierzu haben sie 16 Beiträge in dem Band versammelt, die “individuelle Erfahrungshorizonte, Bewältigungsstrategien und Lösungsansätze zum Umgang mit klassistischer Diskriminierung und Unterdrückung” zeigen.
Oft geht es mit Schamgefühlen einher, Klassismus ausgesetzt zu sein. Das Buch soll ein Experiment sein, ein Raum, in dem über diese Schamgefühle geschrieben werden kann. Zustande gekommen sind sehr persönliche Berichte über Erfahrungen von Menschen aus nichtakademischen Familien im wissenschaftlichen Umfeld. Fast allen gemein ist das Gefühl, fehl am Platz zu sein, oft zusammen mit einem ausgeprägten Hochstapler-Syndrom. “In den vergangenen sieben Jahren meines Studiums fragte ich nicht oft nach einer Fristverlängerung oder informierte mich nach Stipendien, Hilfeleistungen oder Entlastungsmöglichkeiten, die ich vielleicht hätte bekommen können. Ich bin nie davon ausgegangen, dass jemand wie ich so etwas bekommen könnte”, schreibt etwa Anna Scharmin Shakoor. Dann ist da Sara, die erst nach der Beschäftigung mit Klassismus nicht mehr nur ein diffuses Gefühl, sondern Zahlen und Begrifflichkeiten erhält für das, was sie empfindet. Aber auch nachdem sie jahrelang im universitären Alltag arbeitet, bleibt ihr Fremdsein.
“Und dann bin ich doch noch in einem Promotionskolleg gelandet und – für mich etwas unerwartet – bricht plötzlich vieles wieder auf und mündet in Hadern, Selbstzweifel, Identitätskonflikte. So’n Studium, das kann mein Background irgendwie noch verkraften, aber einen Doktortitel?”
Hier zeigt sich ein weiteres Problem – Schuld- und Schamgefühle gegenüber der Herkunftsklasse beim sogenannten Bildungsaufstieg.
Mittlerweile gibt es an deutschen Universitäten unterschiedliche AStA-Referate und Projekte, die sich gegen Klassismus engagieren. Unter anderem hierüber spricht Sahra Rausch, die auch einen Beitrag zum Buch geschrieben hat, im Interview mit dem nd.
Ricardo Altieri, Bernd Hüttner (Hg.)
Klassismus und Wissenschaft
Erfahrungsberichte und Bewältigungsstrategien
Reihe Hochschule, Band 13
August 2020
217 Seiten
14,00 EUR
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