Am 10. Juli 1934, also vor 83 Jahren, wurde Erich Mühsam von den Nationalsozialisten ermordet. Die Koffer waren bereits gepackt, als man ihn am Tag nach dem Reichstagsbrand, den 28. Februar 1933 verhaftete. Sechszehn Monate dauerte sein Leidensweg durch mehrere Gefängnisse und Konzentrationslager. Für viele in Vergessenheit geraten, hält der Berliner Verbrecher Verlag die Erinnerung an Mühsam lebendig und publiziert dessen Werke. Neben den nach und nach erscheinenden Tagebüchern ist auch ein Mühsam-Lesebuch dabei.
Zu Lebzeiten hat Erich Mühsam rund ein Dutzend Bücher veröffentlicht. Mühsam war ein politischer Autor, ein durch und durch politischer Mensch. Und so lassen sich Leben und Werk des Anarchisten unmöglich voneinander trennen.
Als Kind jüdischer Eltern in Berlin geboren, wuchs Mühsam mit seinen drei Geschwistern in Lübeck auf. Bereits in Jugendjahren begann er sich schriftstellerisch zu betätigen, indem er Tierfabeln schrieb. Er besuchte das Lübecker Gymnasium Katharineum, wurde jedoch aufgrund “sozialdemokratischer Umtriebe” der Schule verwiesen. Nachdem er seinen Abschluss an einer anderen Schule gemacht hatte, machte er eine Ausbildung zum Apotheker – der Beruf seines Vaters. 1901 zog Mühsam nach Berlin, wo er vorerst als Apotheker arbeitete. Ein Jahr später wurde er Redakteur der anarchistischen Zeitschrift “Der arme Teufel”, später schrieb er auch für den “Weckruf”. Nach einigen Wanderjahren zog es ihn nach München, wo er sich politisch bei anarchistischen Gruppierungen engagierte und 1910 schließlich festgenommen, jedoch anschließend freigesprochen wurde.
„Wir sind eine Kompanie auf verlorenem Posten. Aber wenn wir hundertmal in den Gefängnissen verrecken werden, so müssen wir heute noch die Wahrheit sagen, hinausrufen, dass wir protestieren.“ (Rede im Februar 1933)
Während der Novemberrevolution 1918 war er Mitglied der Revolutionären Arbeiterräte und gehörte zu den Anführern der Münchener Räterepublik. Nach deren Niederschlagung wurde er 1919 verhaftet und zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt. Nach fünf Jahren wurde Mühsam jedoch amnestiert und kam wieder frei. In den Folgejahren betätigte er sich schriftstellerisch, gab die anarchistische Zeitschrift “Fanal” heraus und verfasste politische Schriften wie Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Für die 1933 an die Macht gekommenen Nationalsozialisten war er natürlich als Jude, Anarchist, Revolutionär und Bisexueller der Feind par excellence. Und so wurde er auch unmittelbar in der Nacht des Reichstagsbrands 1934 verhaftet, in mehreren Gefängnissen und Konzentrationslagern schwer misshandelt und ermordet. Seine Frau Zenzl schrieb, nachdem die Mühsams Leichnam übergeben bekommen hatte:
„Der Sarg wurde geöffnet. Vor mir lag mein Mann. Das Gesicht war bleich, aber ganz, ganz ruhig. Ein Streifen am Hals zeigte mir die Spuren des Strickes.
Mein Schwager Hans sagte: ‚Entschuldige, mein Bruder, ich bin ein alter Arzt‘, zog ihm das Hemd aus, der Rücken war vollkommen verprügelt, und getötet war er durch eine Giftinjektion und tot aufgehängt im Abort.“
In ihrem beim Verbrecher Verlag erschienenen Mühsam-Lesebuch “Das seid ihr Hunde wert” zeichnen die beiden Herausgeber Manja Präkels und Markus Liske chronologisch Mühsams Schaffen und seinen Kampf “für Gerechtigkeit und Kultur” anhand ausgewählter Texte aus seinem Werk nach. Darunter befinden sich auch einige bislang unveröffentlichte Gedichte, Briefe und die Beschreibung seiner letzten Tage – geschrieben von seiner Frau Zenzl.
Wer sich als Leser der Literatur und dem Denken Erich Mühsams annähern möchte, dem sei das Lesebuch wärmstens empfohlen. Hier lässt sich bestens nachvollziehen, wie sich Prosa und Gedichte des Autors mit den Jahren veränderten, was sein politisches Engagement prägte und wie er die Gesellschaft, aber auch sich selbst sah.
Der Revoluzzer
War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilstand Lampenputzer;
Ging im Revoluzzerschritt
Mit den Revoluzzern mit.
Und er schrie: ‚Ich revolüzze!‘
Und die Revoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam sich höchst gefährlich vor.
Doch die Revoluzzer schritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er sonsten unverdrutzt
Alle Gaslaternen putzt.
Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaster aus,
Zwecks des Barrikadenbaus.
Aber unser Revoluzzer
Schrie: ‚Ich bin der Lampenputzer
Dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!
Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
Laßt die Lampen stehn, ich bitt!
Denn sonst spiel’ ich nicht mehr mit!‘
Doch die Revoluzzer lachten,
Und die Gaslaternen krachten,
Und der Lampenputzer schlich
Fort und weinte bitterlich.
Dann ist er zuhaus geblieben
Und hat dort ein Buch geschrieben:
Nämlich, wie man revoluzzt
Und dabei doch Lampen putzt.
Erich Mühsam
Das seid ihr Hunde wert! Ein Lesebuch
Herausgegeben von Manja Präkels und Markus Liske
352 Seiten
16,00 EUR
Verbrecher Verlag, Berlin
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