Will man Slavoj Žižek mit drei Worten charakterisieren, dann würde man wohl sagen, er ist Hegelianer, Lacanianer und Kommunist. Der Philosoph und Psychoanalytiker ist jedoch viel breiter aufgestellt in seinem Denken und Schreiben. Er ist International Director am Birkbeck Institute for Humanities der University of London, Visiting Professor an der New York University sowie Professor für Philosophie an der Universität Ljubljana. Kaum ein Denker ist so produktiv wie Žižek – über 60 Bücher, die in über 40 Sprachen übersetzt worden sind, hat er verfasst. Zwei seiner neueren Bücher sind in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (wbg) erschienen: Disparitäten (2018) und Sex und das verfehlte Absolute (2019).
In Disparitäten übt Žižek Kapitalismuskritik. Er wählt die Metapher eines Kraken für das globale Wirtschaftssystem. Ein Krake, der aus den Untiefen des Meeres heraus unser Leben lenkt – “ein gefährliches und monströses Geschöpf, dessen lange Begriffstentakeln es ihm ermöglichen, Einfluss zu nehmen.”
Wie auch in seinen anderen Büchern springt Žižek gedanklich geradezu umher, greift Ideen auf, vertieft Gedankengänge, verliert den Faden vielleicht gar, um ihn an anderer Stelle wieder aufzunehmen. Žižeks Art zu schreiben ist geprägt von seiner mündlichen Kommunikation. Wer mit ihm einmal gesprochen hat, weiß dass es mitunter schwer ist, zu Wort zu kommen.
Aber kommen wir zum Begriff der Disparität. Er bedient sich hier bei Hegel bzw. bei dessen Vorstellung der Ungleichheit. Dieser Begriff kommt laut Žižek bereits im Vorwort Hegels Phänomenologie des Geistes dreimal an einer Schlüsselstelle vor:
“Die Ungleichheit, die im Bewußtsein zwischen dem Ich und der Substanz, die sein Gegenstand ist, stattfindet, ist ihr Unterschied, das Negative überhaupt. Es kann als der Mangel beider angesehen werden, ist aber ihre Seele oder das Bewegende derselben; weswegen einige Alte das Leere als das Bewegende begriffen, indem sie das Bewegende zwar als das Negative, aber dieses noch nicht als das Selbst erfaßten. – Wenn nun dies Negative zunächst als Ungleichheit des Ichs zum Gegenstande erscheint, so ist es ebensosehr die Ungleichheit der Substanz zu sich selbst. Was außer ihr vorzugehen, eine Tätigkeit gegen sie zu sein scheint, ist ihr eigenes Tun und sie zeigt sich wesentlich Subjekt zu sein.”
Für Žižek ist hier die letzte Umkehrung von entscheidender Bedeutung:
“Die Ungleichheit zwischen Subjekt und Substanz ist gleichzeitig die Ungleichheit der Substanz mit sich selbst – oder, um es mit Lacan zu sagen, Ungleichheit heißt, dass der Mangel im Subjekt gleichzeitig der Mangel im Anderen ist.”
Etwas, das mit sich selbst ungleich ist, erscheint hier jedoch als Paradox, als Widerspruch in sich. Hier stellt sich die Frage nach dem Realen, nach der Wahrheit und ob es diese tatsächlich gibt. Die Realität, die wir als Menschen erfahren und als solche bezeichnen, ist immer doch nur das, was wir gefiltert wahrnehmen. Etwas, das nicht zur Realität gehört, ein disparates Element, kann somit nicht als real wahrgenommen, sondern lediglich als Fiktion erdacht werden.
Wie schon bei Lacan ist das Reale bei Žižek nicht mit der Realität gleichzusetzen, die symbolisch konstruiert ist, also wie oben bereits beschrieben eine kollektiv praktizierte Fiktion. Hingegen ist das Reale innerhalb dieser Ordnung des Symbolischen der Kern, der fingierbarer ist, sich nicht symbolisieren lässt. Er existiert nur als Ausgeschlossenes, das an den Grenzen der gewöhnlichen Realität erscheint. Das Reale stellt keine hinter der sichtbaren Realität verborgene Realität dar, sondern besteht aus den Leerstellen, die die Realität fragmentarisch und inkonsistent machen (Triade des Realen: symbolisches Reales / reales Reales / imaginäres Reales). Dies findet übrigens in der Quantenphysik, auf die Žižek immer wieder eingeht, seine Entsprechung. So sah es für Albert Einstein schon als bewiesen an, dass die Quantenphysik keine vollständige Beschreibung der Realität liefern könne und folgerte, dass irgendwelche unbekannten Merkmale existieren müssen, die nicht erfasst werden.
Žižek grenzt sich von anderen Philosophen ab, insbesondere dem Dekonstruktivismus um Derrida steht er kritisch gegenüber, da er diese als bürgerlich-akademisches Schreiben empfindet. Da ist ihm das plumpe Denken eines Bertolt Brecht näher.
In Sex und das verfehlte Absolute unternimmt Žižek den Versuch, nicht weniger als den grundlegenden ontologischen Rahmen seines Gesamtwerks abzustecken. Er beschreibt darin Sex als die flüchtige Berührung des Menschen mit dem Absoluten.
Wer Žižek liest, muss sich darauf einstellen, eine Gedankenreise zu unternehmen, die zahlreiche Umwege, Abstecher und überraschende Exkursionen bietet. Nicht immer einfach, aber meist sehr lesenswert.
Slavoj Žižek
Disparitäten
Aus dem Engl. von Axel Walter. 2018.
504 S.
WBG, Darmstadt.
50,- EUR
Slavoj Žižek
Sex und das verfehlte Absolute
Aus dem Engl. von Axel Walter und Frank Born. 2020.
592 S.
wbg Academic, Darmstadt.
50,- EUR